Wer hat es nicht schon erlebt? Nach Ausspruch der Kündigung, insbesondere durch den Arbeitgeber, meldet sich der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank. In den meisten dieser Fälle dauert die Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses an. Hierdurch ist der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet; auch kann noch vorhandener Urlaub infolge der Arbeitsunfähigkeit nicht gewährt werden, sondern muss bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusätzlich finanziell abgegolten werden.
Aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens von Kündigung und anschließender Krankmeldung bestehen für Arbeitgeber häufig gewisse Zweifel an einer tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Nachdem es in der Vergangenheit für Arbeitgeber tendenziell mit hohen Hürden verbunden war, sich gegen unberechtigte Entgeltfortzahlungsforderungen der Arbeitnehmer zur Wehr zu setzen, ist in der jüngeren Vergangenheit eine Änderung in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung erkennbar.
Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Grundsätzlich kommt der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Rechtsstreit vor den Arbeitsgerichten ein hoher Beweiswert zu; dabei wird zunächst die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung widerleglich vermutet. Dies bedeutet, der Arbeitgeber muss konkrete Umstände vortragen, die die Unrichtigkeit der Bescheinigung nahelegen. Daher fällt es dem Arbeitgeber im arbeitsgerichtlichen Verfahren häufig schwer, die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Zweifel zu ziehen.
Erschütterung des Beweiswertes
Nunmehr hat die Rechtsprechung zuletzt in mehreren Fällen den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert angesehen. Im Einzelnen:
So hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 13.12.2023 (5 AZR 837/23) entschieden, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttert wird, wenn sich der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit "passgenau" auf den Zeitraum bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erstreckt. Im Falle einer solchen Erschütterung des Beweiswerts muss dann der Arbeitnehmer im Vergütungsrechtsstreit konkret darlegen und gegebenenfalls auch beweisen, dass er im betreffenden Zeitraum derart erkrankt war, dass er nicht in der Lage war, seiner Arbeit nachzugehen.
Ebenso wird der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttert, wenn diese für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen ausgestellt worden ist. Nach der insoweit maßgeblichen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie soll die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen im Voraus bescheinigt werden. Erfolgt dies gleichwohl, wird hierdurch der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert; dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 28.06.2023 entschieden (5 AZR 335/22).
Zudem sieht die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie vor, dass eine Arbeitsunfähigkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen anlässlich einer Videobehandlung attestiert werden soll. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ebenfalls erschüttern; dies hat zuletzt das Landesarbeitsgericht Niedersachsen mit Urteil vom 18.04.2024 festgestellt (6 Sa 416/23).
Fazit
Insgesamt lässt sich in der neueren Rechtsprechung eine Tendenz dahingehend erkennen, dass es für Arbeitgeber einfacher wird, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzuzweifeln, sodass der Arbeitnehmer im Rechtsstreit über seine Vergütung gehalten ist, konkret zu seiner Arbeitsunfähigkeit vorzutragen und diese notfalls zu beweisen. Vor diesem Hintergrund kann es in den beschriebenen Fällen sowie bei weiteren, begründeten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers sinnvoll sein, bei einer nach Ausspruch der Kündigung vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Vergütung einzubehalten.
Schließlich besteht für Arbeitgeber die Möglichkeit, bei Zweifeln über die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers den Medizinischen Dienst der Krankenkassen hinzuzuziehen und auf diese Weise eine neutrale Einschätzung zur Arbeitsunfähigkeit einzuholen.
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